Der Boxsport: Von Tokyo nach Rostock / Zwischen „Gestern" und „Heute"

Text: Marko Michels

MV und Boxen – das hat Tradition, das hat Klasse, das verspricht stets Qualität.

Zwar konnte sich für Olympia 2021 in Tokyo keine Boxsportlerin bzw. kein Boxsportler aus M-V qualifizieren, dafür waren aber die Rostocker Kampfrichterin Susann Köpke und die Schweriner Ärztin Dr. Angelika Fischer im olympischen Einsatz.

Kurz vor Olympia 2021 hatte Susann Köpke noch beim U 17 Round Robin-Turnier Mitte Juni in Schwerin ebenfalls als Kampfrichterin fungiert.

Bald wird die boxsportliche Hanseatin zudem wieder in der Landeshauptstadt M-V aktiv sein. Am 14.Oktober 2021 ist Susann Köpke im Rahmen einer Veranstaltung zur Box-Ausstellung „Alte Meister, junge Meister – Traktor Schwerin und die Kunst des Boxens" zu Gast im Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin.

Nachgefragt bei Susann Köpke

Susann Köpke über ihre Nominierung als boxsportliche Kampfrichterin bei Olympia 2021 in Tokyo, die bisherigen Höhepunkte ihrer Karriere und über Ihre Einsätze beim Olympia-Turnier 2021 in Tokyo

„War etwas ganz Besonderes ..."

Frage: Knallten am 10.Juni 2021, als Sie erfuhren beim Olympiaturnier als technische Offizielle dabei zu sein, viele Sekt-Korken? Hatten Sie mit dieser Nominierung gerechnet oder eher von dieser nur zu träumen gewagt?

Susann Köpke: Ich wusste schon, dass ich Chancen habe, in Tokyo als Kampfrichterin dabei zu sein. Aber fest damit rechnen, nein, das wäre vermessen gewesen. Eigentlich sollte es am 9.Juni 2021 bereits eine Info geben, wer dann als Kampfrichter nominiert wird. Als das ausblieb... Klar, war ich da etwas „down". Aber als dann am Morgen des 10.Juni 2021 die Mitteilung kam, dass es tatsächlich klappte, war ich einfach nur unendlich glücklich!

Frage: Olympia und Tokyo sind jedoch nunmehr wieder "abgehakt". Wie verliefen Ihre Einsätze? Was waren dabei die Highlights?

Susann Köpke: Zunächst: Wahnsinn wie schnell die Zeit vergeht. Als ich in Tokyo war, dachte ich nicht eine Sekunde an die Rückkehr – und jetzt ist alles schon wieder fast zwei Wochen her. Ich war insgesamt 27mal am Ring und habe gepunktet, sechsmal im Ring und darunter war das Finale im Federgewicht der Frauen zwischen Nesthy Petecio (Philippinen) und Sena Irie (Japan) am 3.August, das die Japanerin mit 5:0 für sich entschied.

(Anm. M.M..: In Seoul 1988 leitete Gustav Baumgardt,1935-2018, Mitglied des SC bzw. BC Traktor Schwerin, den damaligen Finalkampf am 2.Oktober 1988 zwischen Riddick Bowe/USA und Lennox Lewis/Kanada – wurde dabei mit sehr viel Lob bedacht.

... Sportlich war es schon eindrucksvoll: Fast 300 Boxsportlerinnen und -sportler aus 81 Ländern kämpften um die 13 Goldmedaillen bei den Frauen und Herren. Kuba wurde dabei die erfolgreichste Boxstaffel vor Großbritannien, Russland und Brasilien.

Frage: Wie war das ganze "Drumherum" unter Pandemiebedingungen in Tokyo?

Susann Köpke: Es hat sich nicht wie Olympia angefühlt, obwohl ich - zugegebenermaßen - auch nicht sagen kann, wie es sich "normal" anfühlt. Es waren ja meine ersten Spiele und ohne Corona wären sie auch anders verlaufen – ausgelassener, freudiger, cooler! Wir waren nur im Hotel oder in der Wettkampfstätte. Jeden Tag hieß es Fieber messen, Speichelprobe abgeben, alles online registrieren lassen. Die Zuschauer fehlten, die Stimmung, die Treffen, ein kulturelles Rahmenprogramm – es war sehr speziell.

Frage. Welche olympischen Erinnerungen und Erlebnisse hallen für Sie persönlich nach?

Susann Köpke: Für mich war es etwas ganz Besonderes, dass auch ich Teil der olympischen Familie sein durfte. Das wird mich dauerhaft prägen. - Und natürlich war es super, dass ich einen Finalkampf leiten durfte!

Frage: Mal weg von Olympia... Boxen hat in M-V Tradition, insbesondere in Schwerin, aber auch in Rostock, Wismar, Greifswald, Waren/Müritz, Neubrandenburg und und und
Was löste Ihre Zuneigung, ihre „Liebe" zum Boxsport aus? Wann führte Sie der Weg zum Boxen?

Susann Köpke: Einen ganz besonderen Anlass gab es nicht. Ich saß oft abends und nachts mit meinem Vater vor dem Fernseher und wir verfolgten die Boxkämpfe von Henry Maske, den Klitschko-Brüdern oder Axel Schulz. Das war schon stets spannend, interessant und begeisternd. Ich selbst kam erst spät, als Neunzehnjährige, Zwanzigjährige zum aktiven Boxsport – mehr unter Fitness-Gesichtspunkten und als Hobby! Im Jahr 2009 beendete ich meine aktive Box-Karriere und wechselte zu den Kampfrichtern, um dem Boxsport treu zu bleiben. Meine boxsportiven Stationen waren übrigens die Baltic Fighters (Kickboxen), Allround Sport Rostock, die German Fight Company Rostock und jetzt der PSV Rostock – alles ganz, ganz wichtige Stationen für mich. Ohne diese wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin, hätte es die Chance Tokyo 2021 wahrscheinlich nicht gegeben!

Frage: Was waren für Sie bis dato die besonderen Meilensteine – ganz persönlich – in puncto Boxsport?

Susann Köpke: Da gab es einige! Die Asien- und Afrika-Qualifikationen zum olympischen Boxturnier 2021 waren für mich ganz besondere Herausforderungen, ganz besondere Erlebnisse, die unvergesslich bleiben. Selbst wenn es mit Olympia nicht geklappt hätte, bereits die Olympia-Qualis waren eine Krönung meiner bisherigen Tätigkeit als Kampfrichterin. Weitere Highlights waren die Einsätze bei Deutschen Meisterschaften, bei WM, Studenten-WM oder bei EM. Auch die Welttitelkämpfe der Frauen 2019 in Ulan-Ude waren ein echter Höhepunkt. Und nun natürlich Tokyo!!!!

Vielen Dank, viel Erfolg in Tokyo und weiterhin alles erdenklich Gute!

Exkurs: Olympischer Boxsport und M-V

... Olympische Gold-Triumphe für MV-Boxsportler

Den Anfang machte 1976 in Montreal Jochen Bachfeld (Weltergewicht, SC Traktor Schwerin). Dann folgten 1988 in Seoul (Andreas Zülow, SC Traktor Schwerin, Leichtgewicht) und 1992 in Barcelona (Andreas Tews, Schweriner SC, Federgewicht) weitere olympische Goldmedaillen im Boxsport. In Havanna, bei den „Wettkämpfen der Freundschaft" im Boxen, dem Ersatz-Turnier für die Ostblock-Boxsportler, die nicht an den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles teilnehmen durften, triumphierte in der Gewichtsklasse bis 67 Kilogramm Torsten Schmitz vom SC Traktor Schwerin. Und... Bei den Olympischen Jugend-Spielen 2014 in Nanjing gewann Peter Kadiru (BC Traktor Schwerin) zudem eine Goldmedaille im Superschwergewicht.

Infos zum olympischen Boxsport

Seit 1904 in Saint Louis (Ausnahme 1912 in Stockholm) ist der Boxsport olympisch. Bis 2008 wurden nur Olympiasieger im Boxsport ermittelt, ab 2012 durften dann auch die Frauen ihr boxsportliches Können im olympischen Ring präsentieren. Dabei war Frauen-Boxsport bereits 1904 olympische Demonstrationssportart.

Die bisher erfolgreichsten Länder bei olympischen Boxturnieren sind die USA (50 Erfolge), Kuba (41 Erfolge), Russland (einschliesslich UdSSR / 25 Erfolge), Großbritannien (20 Erfolge) und Italien (15 Erfolge). Aus deutscher Sicht gab es bis dato 11 Goldmedaillen im olympischen Boxsport.

Der berühmteste Box-Olympiasieger ist zweifellos Cassius Clay, Sieger des Turniers im Halbschwergewicht 1960 in Rom. Als Muhammad Ali wurde er zur Sportlegende, weit über den Boxsport hinaus.

Die bisherigen deutschen Olympiasieger im Boxsport

1936 in Berlin

Fliegengewicht: Willy Kaiser (Boxring 1928 Gladbeck) / Schwergewicht: Herbert Runge (Elberfelder BC)

1956 in Melbourne

Bantamgewicht: Wolfgang Behrendt (TSC Berlin)

1968 in Mexico-City

Weltergewicht: Manfred Wolke (ASK Vorwärts Berlin)

1972 in München

Halbmittelgewicht: Dieter Kottysch (BC Sportmann Hamburg)

1976 in Montreal

Weltergewicht: Jochen Bachfeld (SC Traktor Schwerin)

1980 in Moskau

Federgewicht: Rudi Fink (ASK Vorwärts Frankfurt/Oder)

1988 in Seoul

Leichtgewicht: Andreas Zülow (SC Traktor Schwerin) / Mittelgewicht: Henry Maske (ASK Vorwärts Frankfurt/Oder)

1992 in Barcelona

Federgewicht: Andreas Tews (Schweriner SC) / Halbschwergewicht: Torsten May (Märkischer BV Frankfurt/Oder)

Bisheriger Faustkämpfer aus MV bei Olympia

- 1960 in Rom: Bruno Guse (SCT / Weltergewicht / mit umstrittener Niederlage in Runde 2 gegen Juri Radonjan/UdSSR)
- 1964 in Tokyo: Bruno Guse (SCT / Weltergewicht) und Jürgen Schlegel (SCT / Halbschwergewicht)
- 1968 in Mexico-City: Bernd Juterzenka (SCT / Bantamgewicht) und Jürgen Schlegel (Halbschwergewicht)
- 1972 in München: Jochen Bachfeld (SCT / Federgewicht)
- 1976 in Montreal: Richard Nowakoswki (SCT / Federgewicht / Silber) und Jochen Bachfeld (SCT / Weltergewicht / Gold) / dazu der gebürtige Neuklosteraner Bernd Wittenburg (SC Dynamo Berlin / Mittelgewicht)
- 1980 in Moskau: Richard Nowakowski (SCT / Leichtgewicht / Bronze) und Dietmar Schwarz (SCT / Halbweltergewicht)
- 1984 in Havanna (Alternativ-Veranstaltung im Boxen zu den vom Ostblock boykottierten Spielen in Los Angeles): Michael Timm (SCT / Halbmittelgewicht / Bronze) und Torsten Schmitz (SCT / Weltergewicht / Gold)
- 1988 in Seoul: Andreas Zülow (SCT / Leichtgewicht / Gold), Andreas Tews (SCT / Fliegengewicht / Silber), Rene Breitbarth (SCT / Bantamgewicht) und Torsten Schmitz (SCT / Halbmittelgewicht)
- 1992 in Barcelona: Andreas Tews (SCT / Federgewicht / Gold), Dieter Berg (SCT / Bantamgewicht), Andreas Zülow (SCT / Halbweltergewicht) und der gebürtige Rostocker Jan Quast (TSV Bayer 04 Leverkusen / Halbfliegengewicht / Bronze)
- 2016 in Rio de Janeiro: die Wahl-Schweriner Artem Harutiunian (Halbweltergewicht / Bronze) und Araik Marutjan (Weltergewicht, beide am OSP Schwerin trainierend)

Infos zum olympischen Boxturnier 2021 in Tokyo aus deutscher Sicht

Geboxt wurde in der Ryogoku Kokugikan, die ansonsten als Sumo-Halle dient und sich in Yokoami / Sumida, Präfektur Tokyo, befindet. Die wohl größte Medaillenhoffnung des DBV in Tokyo, Nadine Apetz (SC Colonia 06 / Gewichtsklasse bis 69 Kilogramm), boxte in Tokyo im Achtelfinale und unterlag der Inderin Borgohain mit 2:3. Sie konnte in der Vergangenheit zweimal WM-Bronze 2016 bzw. 2018 erkämpfen, wurde bei den EM 2018 bzw. den Europaspielen 2019 ebenfalls Dritte. Bei der Europa-Olympia-Qualifikation Mitte Juni gewann Nadine Silber. Der Berliner Hamsat Shadalov (Bantamgewicht), unter anderem Weltcup-Zweiter 2019, hatte Medaillen-Chancen in Tokyo, schied ebenfalls unglücklich aus – 2:3 gegen den Argentinier Cuello (Vorrunde). Last but not least: Der Schwergewichtsboxer Ammar Riad Abduljabbar (SV Polizei Hamburg), Dritter beim Cologne-Cup 2019, kam in Tokyo zumindest ins Viertelfinale.

25 Länder erkämpften Medaillen in Tokyo, darunter 9 Nationen eine oder mehrere Olympiasiege.

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